
„Was kann ich denn jetzt noch essen?“ Diese Frage hörte Maria Gylfe, leitende Krankenschwester der chirurgischen und urologischen Abteilung im Krankenhaus Danderyd in der Provinz Stockholm, nahezu täglich von ihren Stomapatienten. Das brachte sie auf die Idee, ein Kochbuch speziell für Menschen mit Stoma zu verfassen. Entstanden ist kein dröges Sachbuch, das dezidiert erklärt, wie viele Kalorien und Kohlenhydrate ein Mensch mit künstlichem Darm- oder Harnausgang am Tag zu sich nehmen sollte, sondern ein sogenanntes „Inspirationsbuch“. Aus gutem Grund: Denn welche Lebensmittel Stromaträgerinnen und -träger vertragen, ist tatsächlich individuell sehr unterschiedlich. Das heißt, wer wissen will, welche Nahrungsmittel dem eigenen Darm guttun und welche nicht, dem hilft vor allem Eines: Experimentieren – „und zwar am besten mit kleinen Mengen“, wie es im Vorwort heißt.
Warum Känguru?
Menschen mit Stoma bezeichnen sich manchmal auch als Kängurus, denn wie sie verfügen sie über einen dauerhaft angelegten Beutel. In das sogenannte Marsupium (engl. pouch) des Kängurus kriecht das Neugeborene, um von der Mutter getragen und weiter ernährt zu werden. Männliche Kängurus haben keine Beuteltasche.
Die zahlreichen Rezepte, die Gylfe mit Ernährungsberatern und renommierten Köchen zusammengetragen hat, unterscheiden sich daher kaum von ganz „normalen“. Die „Rote-Bete-Frikadellen mit Ziegenkäsecreme“ und der „saftige Kokoskuchen“ haben mit Schonkost tatsächlich wenig zu tun. Dass die Autoren bei den Rezepten auch immer auf eine laktosefreie Alternative zu Sahne und Butter oder auf die Möglichkeit, glutenfreies Mehl zu verwenden, verweisen, erscheint in Anbetracht der stetig wachsenden Anzahl von Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten ebenfalls ziemlich „normal“.
Was die Rezepte von anderen unterscheidet, sind die beigefügten Zitate und Tipps. So raten die Autoren beispielsweise, Zubereitungsarten zu wählen, mit denen „die Speisen leicht verdaulich werden“ oder Trauben am besten „ohne Schale und Kerne“ zu essen – alltagstaugliche Empfehlungen, die deutlich machen, an wen sich das Kochbuch richtet, und die Menschen mit Stoma helfen sollen, die für sie passende Ernährungsweise zu finden.
Besonders inspirierend sind die Geschichten der „Models“, die die einzelnen Abschnitte mit Rezepten voneinander trennen. Diese Porträts mit kurzen Steckbriefen und persönlichen Tipps geben Einblick in das Leben mit Stoma und zeigen, wie Betroffene mit dem Thema Ernährung umgehen.
Die Geschichten machen jedoch nicht nur Mut – auch die inszenierten Fotografien sind einfach klasse. Gutes Beispiel ist das Bild des Stomaträgers Bo Karlsson. Auf dem Foto springt der Pensionär in Unterhose aus einer riesigen Geburtstagstorte. Den Stomabeutel auf seinem Bauch hat er wie ein Geschenk verpackt, in der linken Hand hält er einen Strauß roter Rosen. Das Bild strotzt nicht nur vor Energie, Karlssons Outfit bringt den Betrachter auch zum Lachen.
Sein Ernährungstipp: „Trinken Sie bei Verstopfung schnell 300 ml Sprudel. Legen Sie sich dann auf den Boden und rollen Sie sich ein paar Mal. Wiederholen Sie gegebenenfalls die Rollbewegungen.“ Das muss man nicht ernst nehmen, doch wer weiß: Vielleicht hilft es dem einen oder anderen tatsächlich – vorausgesetzt das Stoma ist gut verheilt, und der Arzt hat Rollen auf dem Bauch erlaubt.
„Känguru-Kulinarik. Kleines Koch- und Inspirationsbuch für Enterostomaträger“ wurde unter anderem mit der Unterstützung des Selbsthilfeverbands ILCO erstellt.